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museum on the roll

Schau, it talks to you
Katalog Anna Gollwitzer + annette hollywood

28 Seiten, Farbe + SW
Neues Museum Weimar 2002

zur Ausstellung STARRING

mit einem Text von Carina Herring:
ZWISCHEN KLASSIK UND KULISSE


Performance
Betriebsausflug: museum on the roll

dt. pdf
Zwischen Klassik und Kulisse - museum on the roll
anna gollwitzer starring Neues Museum Weimar

Das Neue Museum zu Weimar – Sinnbild steingewordener Geschichte zwischen Klassik und Kulisse – ist Schauplatz der neuesten Arbeiten von anna gollwitzer. Das Versteinerte gilt gemeinhin als das Gegenteil des Beweglichen. Doch daran hält sich die Künstlerin nicht: Sie hebelt gezielt die Gesetze der Gravitation aus – bringt den Fußboden zum Vibrieren, hebt die Tür aus ihren Angeln, läßt eine Säule tanzen, die Treppe rotieren – kurz: versetzt feststehende Grenzen des Raumes in Bewegung.
An zentralen Punkten des Museums hat die Künstlerin vorübergehend vier Roll-Skulpturen plaziert, die eben jene tragenden Elemente eines klassischen Museumsbaus karikieren: Säule, Tür, Treppe und Boden. In Opposition zur historisierenden Repräsentationsarchitektur des großherzoglichen Museums sind sie aus den Klauen großer historischer Erzählungen befreit, ironisch überzeichnet und ins Comichafte gesteigert. Auf einfache geometrische Formen reduziert, pendeln sie ihren Spielraum zwischen Gebrauchsgegenstand und ästhetischem Objekt, zwischen Illustration und Abstraktion aus. Sie flirten mit ihren realen Gegenspielern, den Marmorsäulen, den vertäfelten Holztüren und ihren überdimensionalen Türklinken, mit der fürstlichen Treppe und dem gekachelten Steinboden, weisen jedoch ein weit menschlicheres Maß als diese auf: Abgestimmt auf die Körperverhältnisse zwingen sie nicht ehrfurchtgebietend Respekt ab, sondern trotzen in witzig provokanter Unterbietung der hochkulturellen Baukunst, fordern dazu auf, berührt zu werden, in sie einzusteigen, sich mit ihnen zu bewegen.

Bewußt sind anna gollwitzers Arbeiten aus herkömmlichem Materialien gefertigt, z. B. gängige Kunststofffolien, zitieren die umgebende Architektur, sind künstliche Surrogate, schnöde Imitate. Sie funktionieren als Fake, als Gegenbild zur Idee des Echten und Wahren. Augenzwinkernd reproduzieren sie ihre Vorbilder, treten jedoch gleichzeitig aus der verpflichtenden Tradition heraus und verabschieden sich vom impliziten Schau- und Repräsentationsbedürfnis vergangener Epochen. Sie schwingen sich auf zur Kritik an der bürgerlichen Institution Museum und hinterfragen ihre Möglichkeiten, zeitgemäße Gefäße für aktuelle Kunst zu sein. Die Skulpturen lösen sich von jenem Begriff der Aura, mit dem Walter Benjamin noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die achtungsvolle Distanz zwischen Werk und Betrachter erklärte. Spielerisch erwirken sie kommunikative Situationen und brechen mit kulturell verankerten Mustern und Mechanismen. Sie fordern dazu auf, den in der Kunst längst aufgegebenen idealen Betrachterstandpunkt zu verlassen zugunsten einer offenen Erfahrungsform, die sich aktiv mit der vorgegebenen Struktur des Ausstellungsterrains auseinandersetzt.

Drei der vier Skulpturen, Tür, Treppe und Säule, sind so konstruiert, dass die BesucherInnen in sie eintreten können, von ihrer äußeren Hülle in ein geborgenes Inneres gezogen und wie von einer zweiten Haut ummantelt werden. Die Innenwand ist wattiert und verleiht ihrem Insassen so eine wärmende und schützende temporäre Behausung, die mit Rollen versehen durch die Ausstellungsräume bewegbar wird. Dem Kontakt nach außen trägt nur ein kleines rechteckiges Sichtfeld Rechnung. Ohne Bewußtsein für die neuen Körperausmaße muss jede Bewegung erneut gelernt, jeder Blick durch das spärliche Fenster kalkuliert werden. Die Skulpturen fordern dazu auf, nicht nur Sehsinn und Verstand zu schärfen, sondern alle Sinne gleichermaßen zu aktivieren: zu berühren, zu hören, den Körper neu zu erproben und die ausgeführten Körperbewegungen aufmerksam zu registieren. Mit ihnen bewegt man sich gegen den Strich, wechselt Schritt für Schritt Standpunkt und Perspektive, hat Teil an neuen Blicken und deren Brechungen.

Es geht der Künstlerin dabei um die Intensität der Unmittelbarkeit. Sie konzipiert ihr skulpturales Werk als experimentell erlebbare Situation, die die BenutzerInnen in eine reale Raum- und Zeiterfahrung einbindet. Mehr als es normalerweise der Fall ist, wird ihren Körpern und Sinnen eine Schlüsselposition zugewiesen. Mit eigens inszenierten Studiosettings und Requisiten bezog sie z. B. das Publikum performativ in ihr Projekt “talktv – gespräche über kunst und mehr” ein und ermöglichte es auf diese Weise, die Reflexion über Sprachformen und –rituale als unmittelbar körperliche Erfahrung zu gestalten. Das Sprechen hinter vorgehaltener Maske oder die Erprobung verschiedenster Sitzmodalitäten dienten dabei als Beispiel, kulturelle und soziale Konventionen aufzuzeigen, die in den verschiedensten Diskurspraktiken wirksam sind.

Auch der Rollende Berg, die erste der begeh- und fahrbaren Skulpturen, kreist um das Verhältnis von Körper, sozialem Raum und kommunikativer Situation. Seine dunkle, amorphe Gestalt konfrontiert die BesucherInnen mit sich selbst und ihrem Blick auf die Kunst, damit aber auch zugleich auf den Ort, der diesen Blick ausbildet und prägt. In ständiger Auseinandersetzung mit den Roll- Skulpturen drängt sich der Körper der BetrachterInnen selbst in die Seh-Erfahrung, entgegen der gewöhnlichen Erwartung, dass ein sehendes Subjekt auf einen immer gleichen, perspektivischen Standpunkt reduziert werden könnte. Sie konfrontieren das Publikum mit seiner eigener Verwandelbarkeit, verbergen es in einer theatralischen Kulisse, die voyeuristisches Versteck, unbeobachteter Beobachterposter ist. Während Tür, Treppe und Säule den Körper in Gänze umschließen, stellt die Boden-Skulptur die BetrachterInnen in eine Plattform und scheint sie in besonderem Maße zu exponieren, ins Zwischen von Bühne und Performance zu verlagern. Der Boden doppelt sich unter und zwischen den Füßen, der sich nur mühsam, mit ungewohntem Körpereinsatz in der vorgesehen Trittspur lavieren läßt.

anna gollwitzers Interesse am Spiel mit Doppelbödigkeiten und Verschiebungen findet seinen Niederschlag auch darin, daß sie ihre Rollskulpturen in unterschiedlichen Kontexten präsentiert. So verläßt sie das traditionelle Ausstellungsmuster, künstlerische Objekte in eigens dafür vorgesehenen Räumen zu zeigen. Indem sie mit ihren Skulpturen in die Stadt hinaus geht, mit dem Interieur den Außenraum betritt, überw indet sie ein weiteres mal institutionell vorgenommene Grenzziehungen.
Hier konfrontiert sie frech die Kulissenhaftigkeit, fast möchte man sagen Disneysierung der Stadt, die vielerorts ihre nach Zerstörung und Sanierung künstlich wieder auferstandenen Zeugnisse großer Vergangenheit pflegt, mit ihren rollenden Skulpturen. Das Heraustreten der einzelnen Interieurmotive aus den Funktions-zusammenhängen des Museums läßt ihre eigene Kulissenhaftigkeit, ihre Konzeption als Attrappe, noch deutlicher werden. Besonders die Säule scheint stumm daran zu erinnern, dass sie meist als bloßes Schmuckelement fungiert und weniger notwendiger Teil baulicher Konstruktionen ist. In Reih und Glied bewegen sich die Skulpturen auf engen Gehsteigen, muten an wie ein kleiner karnevalesker Umzugstrupp, gefolgt von einigen Schaulustigen. Der vielerorts gepflasterte Boden läßt ihre holprigen Bewegungen vollends zur Karikatur entgleiten.

An markanten, vorwiegend durch touristische Blicke gekennzeichneten Orten, hält der Trupp immer wieder inne, um sich in Beziehung zum städtischen Umfeld zu setzen: z. B. am Fuße der dominanten Monumente Goethes und Schillers, die in trauter Zweisamkeit posieren. Vom Bauhaus zum Hotel Elephant, zwischen Fiakern und Würstchenbude, entblättert sich der Romantizismus der Stadtkulisse, wird eingelullt vom Duft der weltweit berühmten Thüringer. So werden Bilder einer Stadt eingefangen, die eine nicht mehr homogene, durch Tradition gewachsene Struktur aufweisen, sondern ständiger Veränderung, unterschiedlichsten Interessen und gesellschaftlichen Phänomene unterliegen.

In der Konfrontation der historisch codierten Fake-Skulpturen mit dem Neuen Museum und dem Stadtraum Weimar pointiert anna aollwitzer das Verhältnis von Realität versus Kunst, von Tradition versus Experiment. Sie setzt Kunst im Sinne eines lebendigen Reflexionsangebots, als zeitgemäßen Gegenentwurf zu einer erstarrten Repräsentationskunst, als Aufforderung zu Interaktion, zu Spiel und lustvoll-kritischem Denken. Die Verbindung von Reflexivität und Phantasie, von autonomer Skulptur und erlebter Situation macht den spezifischen Reiz ihrer Arbeiten aus.
Carina Herring