Sprachgestalten

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museum on the roll

Schau, it talks to you
Katalog Anna Gollwitzer

16 Seiten, Farbe
Kunstverein Braunschweig 2002

zur Ausstellung SCHAU, IT TALKS TO YOU

mit einem Text von Carina Herring:
POPfeminism: keep it moving


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Schau, it talks to you

dt. pdf
Popfeminismus: keep it moving
Gender from trouble to fun

Poppig fröhliche Farben und Formen gruppieren sich zu einem bunten Skulpturenensemble, durch das hindurch man zu einer großen, freistehenden Plastik gelangt. Diese entpuppt sich bei näherem Hinsehen als durchschreitbare Tür, die mit dem Wortmaterial zweier Begriffe spielt: Know – now, Wissen – jetzt. Eine architektonische Konstruktion, die Buchstaben sinnhaft in- und auseinander kippen, zwischen Flächigkeit und Tiefe hin- und herspringen läßt. Ihre spitzen Auskragungen suggerieren Bewegung. Wump - Drei Worte auf den Boden geschleudert: here, there, inbetween. Als rollbare Bodenskulpturen ist ihre Gestalt und Textur kaum vom Parkett des Bodens zu unterscheiden. Zong - Der Blick aus den Fenstern wird durch eine weitere Wortarchitektur aus rosafarbenem Latex kanalisiert: Wow! Ein Video zeigt, wie sich der Begriff around von oben nach unten und zurück auf einer Treppe bewegt - in der Schwebe gehalten wird. Die einzelnen Elemente dieser Ausstellung organisieren einen ausgewogenen, pictoralen Raum voller Symbole, Bild- und Schriftbedeutungen. Abstrakte visuelle und sprachliche Elemente treffen aufeinander und verbinden skulpturale, filmische und performative Momente.

In ihrer ersten Einzelausstellung befragt Anna Gollwitzer die Grundlagen der ihr zur Verfügung gestellten Studiogalerie, die diskursiven Bedingungen und die strukturelle Basis des Raums: Sie durchmißt ihn von einem Stichwort zum nächsten, kartografiert seinen institutionellen Rahmen und mit ihm die Geografie des Wortes. Sie löst Begriffe aus dem Kontext der Sprache, isoliert sie in ihrer Lesbarkeit und führt sie damit auf den Boden – die Basis – zurück. Sie bietet sie zum Verschieben und Verlagern an, befragt sie nach ihrem physischen, mentalen, rationalen, auch ökonomischen Wert, inszeniert ihren Transport und ihre räumliche Plazierung.
Bewegung als Metapher des Raumes, die einer verkürzenden Festschreibung von Bedeutung entgegenwirkt. Als Grundlage künstlerischen Arbeitens ist es für Anna Gollwitzer notwendig, präzise danach zu fragen, wer, wo, wann und warum die Grenzen von Räumen bestimmt oder verschiebt. Es geht ihr um Bewegungen in und zwischen spezifischen Räumen, um Prozesse, in denen sich Begriffe konstruieren, um Orte, an denen Subjekte sich situieren, darstellen, ein- oder ausgeschlossen sind, um sichtbare und unsichtbare Räume, wie die der Sprache. Die Ausstellung behandelt dabei konsequent das für Anna Gollwitzer von Anfang ihrer künstlerischen Tätigkeit an bestimmende Verhältnis von Bild und Wort, von Raum, Sprache und Körper. Sie konzentriert sich zunächst auf den neuralgischen Punkt im Beziehungsgeflecht von Bild und Bezeichnen, auf den alten ästhetischen Widerspruch der unterschiedlichen Zeichensorten.
Die Rollskulpturen im Vordergrund des Raumes, die in ihrer Farbigkeit den Colourbars des Videotestbildes angelehnt sind, haben die Form von Sprechblasen. Sie sind jedoch nicht wie in Gollwitzers bisherigen Installationen als zweidimensionale Teppiche gestaltet, sondern stehen als skulpturale Körper aufrecht im Raum, von der Zwei- in die Dreidimensionalität transferiert. Mit Blick auf die Anfangsjahre des Comics ist die Sprechblase und damit eine der markantesten Ausprägungen der Pop- und Massenkultur bereits Ende des vorletzten Jahrhunderts erfunden worden, mit dem Ziel der grafischen Trennung von Bild und Text. Doch Anna Gollwitzer verdreht diese klare Entgrenzung der Darstellungsräume, indem sie die Sprechblase gänzlich unbeschrieben läßt. Der eigentliche Dialogträger bleibt leer, vergeblich sucht man den einen oder anderen sprachlichen Hinweis. Die Sprechblasen sind nur mehr Hohlformen, Behälter für Inhalte, die jeder aufgefordert ist, selbst zu füllen – spielerische und herausfordernde Verweigerung der AutorInnen-Rolle: „Wen kümmert’s, wer spricht“ , Zack!

Dagegen wird die Schrift ohne die „ikonische Einrahmung“ der Sprechblase einfach auf dem Boden verstreut, über Materialien und Oberflächen in den Raum hinein geführt. Das Verhältnis zwischen Text und Textur, zwischen Schrift und Material verkehrt sich in eigentümlicher Weise, und die Aggregatzustände der Dinge werden in den Wirbel der Indifferenz von bildlicher und schriftlichen Zeichenbestimmungen gezogen. Flump.
Im Sinne dieser Aufweichung behandelt die Künstlerin auch geschlechtsspezifische Zuschreibungen: In einer der beiden Videoperformances, die in der Ausstellung zu sehen sind, tritt sie mit einer Gesichtsmaske auf „der schöne Mann“, und inszeniert sich durch die androgyne, teilweise comichafte Kleidung so, daß sie keiner geschlechtlichen Identität zuzuordnen ist. Slapstickartig und sichtlich überzogen wuchtet sie die gestaltlosen Hüllen mehrerer Begriffe von einem nicht weiter bestimmten, schwarzen Außen durch das Fenster der Studiogalerie – vom öffentlichen in den halböffentlichen Raum. Diese Strategie des Transgender, die Verweigerung der Verortung in der Verortung, stützt sich auf verschiedene darstellerische Formen der Verkleidung und der äußeren Hülle und ermöglicht es, mit der Performativität des sozial zugewiesenen Geschlechts spielerisch die gesellschaftlich normierten Grenzen zu überschreiten. Dabei werden, wie auch schon in den ersten popfeministischen Aktionen „fighting for you!“ (New York, 2001) und „hollyandgolly in Venezia“ (Venedig, 2002) sowie in der Rapperormance „living microphone“ von annette hollywood die geschlechtspezifischen Attribute bis hin zur Lächerlichkeit übersteigert und damit die Widersprüche im bipolaren Ordnungs- und Zeichensystem offen gelegt. Die Sprache, der Blick, Gestik, Mode und Bewegung werden damit als konstitutive Momente von gender gefaßt. Bild und Sprache sind in dieser Sicht- und Denkweise Module durch die sich temporäre Repräsentationen von Identitäten einstellen.

Anna Gollwitzer bezeichnet sich selbst als Popfeminisitin und verortet sich damit bewußt jenseits der unterschiedlichen, historischen Positionen feministischer Kunst seit den 70er Jahren: von Frauen als Opfer einer patriarchalen Gesellschaft über Frauen, die die gleichen Rechte verlangen wie Männer, zu Cyber-Frauen, die ihre geschlechtlichen Identitäten als austauschbar und als ein Identitätskriterium unter vielen betrachten. Diese Geschichte mitdenkend ist Gollwitzers Strategie die einer spielerischen und lustvollen Sensibilisierung für die Prozesse der Vergeschlechtlichung und ihrer jeweils unterschiedlichen Machtoperationen. Sie umkreist die sprachlichen, räumlichen und gesellschaftlichen Mechanismen ihrer Herstellung und Festlegung und versetzt sie mit dynamischer Leichtigkeit in Bewegung.
Carina Herring