Sprachgestalten


image is a tender word

wordworkwonder

museum on the roll

Schau, it talks to you
Katalogbeitrag von Anna Gollwitzer

64 Seiten, Farbe
Neuer Berliner Kunstverein 2006

zur Ausstellung REALITY IN GENERAL IS ALMOST UNAVOIDABLE

im Interview mit Sabine Kampmann:
Sprachgestalten


Installationsansicht
Komma mit Griff

dt.
Sprachgestalten
Sabine Kampmann im Gespräch mit Anna Gollwitzer

In Deiner Arbeit geht es um Sprache und Kommunikation, um Wörter und Wortbedeutungen. Die Arbeit „Satzzeichen“ beispielsweise empfinde ich als sehr poetisch, aber auch als absolut humorvoll. Wenn ich etwa an das Komma mit Griff denke, habe ich die Assoziation an einen Ruhrgebietsausdruck: „komm’ ma’“, im Sinne von „komm mal her“ oder „komm mal mit“. Das Komma mit Griff wäre also eine Art Satzzeichen „to go“, das man mitnehmen kann und das einen zugleich mitnimmt. Ist das eine zu platte Assoziation?

Ach nein, das ist eine sehr schöne Assoziation. Für mich war es ja so, dass das Komma den Griff bekommen hat, damit jeder die Möglichkeit bekommt, sich eine Auszeit zu nehmen. Man nimmt den Griff, fasst das Komma, und dann ist ganz klar: hier ist jetzt eine kleine Ruhepause angesagt. Ich stehe hier, Komma. Ich verweise also auf Zeit. Aber das Komma mit Griff ist eigentlich eine separate Arbeit. In der Satzzeichen-Skulpturengruppe, die siebenteilig ist, gibt es auch ein Komma auf Rollen. Das ist größer und dreidimensional, also ein richtiger Körper, während das Komma mit Griff eher wie ein Bild zu begreifen ist. Bei den Satzzeichen ist es so, dass ich menschengroße Körper in Form der Satzzeichen gebaut habe. Ich fand es interessant, mit den Satzzeichen neue Ordnungen im Raum zu ermöglichen und die Sprache zu verkörperlichen, sie als ein wirkliches Gegenüber wahrzunehmen. Das Komma mit Rollen ist auch eines meiner Lieblingsfragmente aus den Satzzeichen, weil es sehr deutlich einen Ort der Ruhe darstellt.

Du setzt auch selbst als Person Akzente, wenn Du als Performerin im Raum mit den Satzzeichen hantierst. Warum befinden sich in Deiner Arbeit Körper und Sprache in so einer engen Beziehung zueinander?

Da ich ausgebildete Tänzerin bin, ist der erste Zugang zur Form bei mir über den Körper gegangen. Ich habe gelernt, meinen Körper auf eine sehr kultivierte Art zu bewegen und im Raum zu positionieren. Schließlich habe ich begonnen, das zu bezeichnen. Ich habe Videos gemacht, in denen ich diese Bewegung mit Sprache erklärt habe oder Sprachbilder herumgebaut oder Wörter dazu gesetzt habe. Und so ist es bis heute dabei geblieben, dass ich den Körper ans Werk binde. Außerdem sind die Satzzeichen ja nicht nur für meinen Körper gebaut, sondern jeder, der Lust dazu hat, darf sie verschieben.

Wenn Du diese „Sprachspiele“ vorführst, trägst Du eine sehr auffällige Kleidung. Das sind Röcke über Hosen, Kniestrümpfe, Turnschuhe zu diesen Röcken, viele Schichten übereinander, in bunten Farben, auffälligen Mustern, manchmal mit großen Handschuhen, die an Comic-Figuren erinnern, und vor allem auch mit Masken und Perücken. Warum kannst Du nicht als Künstlerin, wie du „wirklich“ bist – wirklich in Anführungszeichen – erscheinen?

Als Künstlerin finde ich es natürlich toll, mit kräftigen Farben und Formen ein Bild zu gestalten, so ist das Kostüm eher wie Malerei zu begreifen. Weil die Skulpturen auch sehr grafisch sind, finde ich es manchmal interessant, mit Farbflächen daneben oder davor zu arbeiten. Außerdem sind wir hier sehr konkret bei der Genderfrage angekommen. Ich will meinen Körper nicht als den Körper einer jungen Frau in den besten Jahren vorführen, sondern ich will, dass da eine menschliche Gestalt gesehen wird. Durch meine Erfahrungen kann ich einfach nicht mehr davon ausgehen, dass ich nur das eine Ich repräsentiere, sondern es gibt viele Facetten meiner Persönlichkeit, die ich gerne der Situation entsprechend vorführe. Das ist immer schwierig und ich habe lange darüber nachgedacht, was das bedeutet. Aber wenn ich eine Arbeit als junge Frau gemacht hätte, dann würde ein ganz anderes Reflexionsfeld geöffnet, als wenn irgendeine Gestalt auftritt, die Männliches und Weibliches vereint und nicht sofort einem Geschlecht und Alter zuzuordnen ist. Der Humor ist dabei sehr wichtig – dass ich mich selbst mit einem gewissen Humor betrachten kann, und nicht festgebunden bin an eine Rolle, die ich mit totalem Ernst durchhalten muss.

Du bist ja selbst erfahrene Interviewerin. In der Arbeit „talktv“ hast Du diesen Rollenwechsel vollzogen und mit Künstlerinnen und Künstlern und der Kunst nahe stehenden Personen „Gespräche über Kunst und mehr“ geführt, wie es der Untertitel besagt. Was wolltest Du von den Menschen erfahren?

Ursprünglich wollte ich untersuchen, ob künstlerisches Schaffen die Art zu sprechen verändert. Bei mir habe ich festgestellt, dass sich meine Sprache über die Beschäftigung mit Bildern und Performance gewandelt hat, denn man schafft ja im Bild Räume, die zugleich auch Sprachräume sind, sobald man darüber reflektiert. Und ich habe gedacht, dass dies wohl bei allen Künstlern so sein wird. Das wäre natürlich unglaublich spannend, wenn sich eine andere Sprache mit neuer Sinnlichkeit entwickeln könnte und somit eine Neuordnung der Welt entstünde. Denn manchmal haben ja bestimmte Worte eine besondere Kraft über ihren Klang. Oder man kann über Wortähnlichkeiten Aussagen hinsetzen, die nicht konkret zu fassen sind, aber sich zu behaupten wissen und eine große Wirkung haben. Allerdings muss ich sagen, dass meine Arbeit in dieser Hinsicht absolut gescheitert ist.
Zu Beginn des Studiums hatte ich bei einigen Künstlern bemerkt, dass die eine sehr interessante Art hatten, ihr Werk und weitergehend Politik oder die Welt zu beschreiben. Je stärker die Leute jedoch mit dem Kunstmarkt konfrontiert waren, desto mehr meinten viele, eine bestimmte Art des Sprechens vorführen zu müssen. Einige bekommen Erklärungsmodelle über die Kunsthistoriker geliefert und es ist natürlich bequem, diese Modelle anzunehmen. Andere sprechen wie Sozialtheoretiker. Eine künstlerische Sprache habe ich leider zu selten angetroffen bei meinen Interviews. Ich habe dann „talktv“ in der Form verändert und zum Beispiel Performances vorbereitet, um etwas Gesprochenes nicht mit Sprache beantworten zu müssen und so die wissenschaftliche Art des Sprechens unterbrechen zu können.

Vielleicht ist aber einfach etwas anderes herausgekommen, als das was die Ausgangsthese Deiner Studie besagte. Du hast eine Palette von Sprachformen geliefert bekommen. Und vielleicht müsste man die noch um die Variante der schweigenden Künstlerinnen und Künstler ergänzen. Jene, die nicht über ihre Arbeiten sprechen wollen oder können, weil das Werk angeblich für sich spricht.

Ich denke, dass es eine Aufgabe der Künstler ist, sich auch um die Sprache zu bemühen. Ich bin dagegen, einen Geniekult zu etablieren, weil der zur totalen Vereinsamung des Künstlers führt. Ich sage hier ganz bewusst „der Künstler“, weil das ein männliches Verhalten ist, sich hinter dem Werk zu verstecken, das man bloß nicht mit Sprache berühren will. Ich bin gar nicht dafür, dass die Sprache von KunstlerInnen nur eine Ordnung vorzeigt, die Kunsthistoriker, Experten, Philosophen oder wer auch immer vorgibt. Ich will einfach auch mit Malern und Malerinnen sprechen. Ich glaube, dass die viel zu sagen haben und in einer tollen Art sprechen können und dazu will ich sie ermutigen. Gerade nach Beuys, nach dem wir Künstler auch oft im sozialen Feld unsere Aufgaben sehen, ist der Umgang mit Sprache eine wichtige gestalterische Aufgabe.